VERGRIFFEN

Magdaléna Platzová   Letztes Jahr, um diese Zeit
Erzählungen


DIE TRAGISCHE INTENSITÄT EUROPAS
Eine Literatur aus Serbien

Herausgegeben von Žarko Radakovic und Peter Handke

Miloš Crnjanski   Auf Jugoslawien   Zagreb 1918
Kommentar London 1959
Die tragische Intensität Europas   Žarko Radakovic im Gespräch
mit Peter Handke
Milovan Danojlic   Briefe aus einem serbischen Dorf   Erster Brief
Dragan Aleksic   Vorvorgestern   (Erzählungen die vom Glück handeln)
Dragan Aleksic   Mein Herz voller Regen
Vasa Pavkovic   Abstiege, Niedergänge
Die düsteren Romane und Erzählungen von Dragan Aleksic
Aleksandar Tišma   Flucht in die Zukunft   Tagebuch 1994-1996
David Albahari   Die Nähe, die Ferne und die Stille
Erinnerungen an Aleksandar Tišma
Miodrag Pavlovic   Dämonische Strudel   Aus einem Roman
Miodrag Pavlovic   Dositej in der Fruška Gora   Gedichte
Ilma Rakusa   Profane Kosmologien, paradiesische Sprüche
Miodrag Pavlovic: Dichter der großen Fragen und Horizonte
Peter Handke   Der weibliche Marsyas   Brankica Becejac
Brankica Becejac   Sie lebt dreckig in einem sauberen Haus
Erzählung aus dem Nachlaß
Brankica Becejac   Ortlos – ausgewiesene Schuld
Dragan Velikic   Falsche Bewegung   Erzählung
Dragan Velikic   Bücher – Schiffahrten
Ana Ristovic   Zerstreuung für müßige Töchter
Gedichte und ein Essay
Igor Marojevic   Die goldenen Jahre des Jugo-Films
(Derselbe Brief, demnach dasselbe Datum, sagte ein Archäologe)
Žarko Radakovic   Blick aus Zemun   Igor Marojevic


MOMENTAUFNAHME BEOGRAD, SPIELZEIT 1964/65
Drei Versuche über den menschlichen Verstand -
Danilo Kiš, Borislav Pekic, Bora Cosic

Zusammengestellt, übersetzt und mit einer Vorbemerkung
von Peter Urban


Peter Urban   Momentaufnahme Beograd, Spielzeit 1964/65
Eine Reminiszenz
Danilo Kiš   Straßenbahnfahren   Psalm 44, Kapitel 7
Borislav Pekic   Gustav Fröhlich, Spion aus Mannheim,
oder Versuch über den menschlichen Verstand
   Elfter Brief
Borislav Pekic   Adams Regenschirm   Brief an Peter Urban
Bora Cosic   Das kurze Leben des Volksdichters Junacko


Bora Cosic   Das verschwundene Belgrad   Konsul in Belgrad
László Végel   Triest, Magris und wir   Novi Sad, Újvidék, Neusatz
László Végel   Eine Frage der Ehre   Balkanische Paradoxa

 

Peter Handke
Rede, frei gehalten, am 7. Mai 2021 in Višegrad

Ich werde Deutsch reden. Das ist meine Sprache. Verzeihen sie. (auf Serbisch).
Diese furchtbaren Kriege auf dem Balkan Ende des Jahrhunderts, haben, so absurd es klingt, auch etwas Gutes gehabt: Ich habe zum ersten Mal Wort für Wort Ivo Andrić gelesen. Und während ich vorher in Jugoslawien immer am Meer gewesen war, bin ich jetzt dadurch ins Landesinnere gekommen, wo kein Meer ist, wo nur Flüsse sind. Wie die Drina. Und so bin ich nach Višegrad gekommen.
Ivo Andrić ist vielleicht der letzte Schriftsteller noch aus dem 19. Jahrhundert, wo die epische Energie von Balzac, von Flaubert, und vielleicht vor allem von Stendhal – vielleicht ist Andrić Stendhal am nächsten – noch einen letzten großen, zarten und zugleich schneidenden Schwung hatte.
Ich glaube, Ivo Andrić war wie Stendhal immer ein liebendes Kind. Und auch immer unglücklich. Vor allem in der Nacht. Wenn man seine Notizen aus der Nacht liest, die deutsch zum ersten Mal gut übersetzt sind, in einem deutschen Buch, dann denkt man: Warum hat der Andrić so viel gelitten, warum hat er das aufgeschrieben?
Das ist ein großer Widerspruch, zwischen seinem Tagewerk und seinem Nachtwerk.
Ich habe eine große Dankbarkeit, nicht nur für die Literatur von Ivo Andrić, sondern auch für die Miloš Crnjanskis, auch Meša Selimovics, die für Bosnien, für Sarajevo sehr bezeichnend ist.
Und ich bin auch sicher – ich werde sicher nicht gut ausdrücken können, was ich sagen möchte – ich bin sicher – ob das orthodoxe, muslimische, kroatische, serbische Schriftsteller sind – ich bin sicher, daß wir einander ..., wir als Schreiber, als die, die auf Frieden und auf Rhythmus, auf Musik und auf Farben und auf das Gemeinsame aus sind, daß es nicht zu spät ist, daß wir uns verständigen – wir, die wir unterwegs sind auf der großen, wunderbaren Expedition, die immer ins Ungewisse führt, die man Literatur nennt.
Das sage ich in Gedanken an die bosniakischen Schriftsteller, an die albanischen Schriftsteller im Kosovo …
Ich bin sicher, würde ich sie einzeln sehen, würde ich mich verstehen mit ihnen.
Ich würde sie gern einladen, mit mir zusammen, möglichst bald – weil ich bin nicht mehr jung – an einem Tisch zu sitzen; oder vielleicht nicht an einem Tisch, sondern vielleicht besser im Gras oder am Ufer eines Flusses zu sitzen. Und wir könnten zusammen … ja, zusammen sein.
Die Literatur hat vielleicht viel mit Zorn zu tun, auch mit Wut (was gut manchmal ist), aber nie mit Haß! Und das ist der große Unterschied.
Und dann möchte ich nur zum Schluß sagen, ich möchte den anderen Preisträger, den großen serbischen Schriftsteller Milovan Danojlić aus der Ferne begrüßen. Er schreibt mir wunderbare Briefe. Er hat eines der grundlegendsten Bücher der jugoslawischen Literatur, sage ich jetzt, geschrieben, Moj dragi Petroviću. Also, ich möchte ihn, der immer aufmerksam für andere war, der mir ein Vorbild war für die Aufmerksamkeit für andere, ich möchte ihn hier, aus der Ferne von Višegrad, in seinem französischen Exil in Poitiers begrüßen.
Ja, das ist alles.

Peter Handke
Rede, frei gehalten, bei der Verleihung des Karadjordje-Ordens am 9. Mai 2021 in Belgrad

Ich bin nicht gefaßt, daß ich einen großen Orden bekommen sollte, ich war nicht darauf gefaßt. Ich habe nur gewußt, daß ich den Präsidenten treffen sollte, und daß wir einen Kaffee miteinander trinken sollten. Das war alles.
Ich weiß jetzt wirklich nicht – ich bin nicht vorbereitet ... Aber das ist ganz gut. Im Leben war ich oft nicht vorbereitet ... Ich weiß nur, woran ich oft denke, wenn mir Serbien in den Sinn kommt, dann ist es in der Regel der weiße Engel von Mileševa, ,,Beli Anđeo“. Und da ist es er, der Engel, der zeigt auf das leere Grab und sagt, wie es im Evangelium steht, ,,warum sucht ihr den Lebenden unter den Toten?“ Und er will damit sagen, daß Christus auferstanden ist.
Ich habe eine Kopie, eine sehr schöne Kopie, im Haus, dieses weißen Engels. Und er empfängt mich nicht jeden Tag; manchmal bin ich nicht bereit, ihn wirklich zu würdigen; aber er empfängt mich zumindest einmal in der Woche.
Und so – als Dank für etwas, was ich nicht verdient habe, diesen Orden – möchte ich Serbien und den weißen Engel hier gegrüßt haben. Danke schön.

VERGRIFFEN

Magdaléna Platzová   Letztes Jahr, um diese Zeit   Erzählungen

DIE TRAGISCHE INTENSITÄT EUROPAS
Eine Literatur aus Serbien

Herausgegeben von Žarko Radakovic und Peter Handke
Miloš Crnjanski   Auf Jugoslawien   Zagreb 1918. Kommentar London 1959
Die tragische Intensität Europas   Žarko Radakovic im Gespräch mit Peter Handke
Milovan Danojlic   Briefe aus einem serbischen Dorf   Erster Brief
Dragan Aleksic   Vorvorgestern   (Erzählungen die vom Glück handeln)
Dragan Aleksic   Mein Herz voller Regen
Vasa Pavkovic   Abstiege, Niedergänge   Die düsteren Romane und Erzählungen von Dragan Aleksic
Aleksandar Tišma   Flucht in die Zukunft   Tagebuch 1994-1996
David Albahari   Die Nähe, die Ferne und die Stille   Erinnerungen an Aleksandar Tišma
Miodrag Pavlovic   Dämonische Strudel   Aus einem Roman
Miodrag Pavlovic   Dositej in der Fruška Gora   Gedichte
Ilma Rakusa   Profane Kosmologien, paradiesische Sprüche   Miodrag Pavlovic: Dichter der großen Fragen und Horizonte
Peter Handke   Der weibliche Marsyas   Brankica Becejac
Brankica Becejac   Sie lebt dreckig in einem sauberen Haus   Erzählung aus dem Nachlaß
Brankica Becejac   Ortlos – ausgewiesene Schuld
Dragan Velikic   Falsche Bewegung   Erzählung
Dragan Velikic   Bücher – Schiffahrten
Ana Ristovic   Zerstreuung für müßige Töchter   Gedichte und ein Essay
Igor Marojevic   Die goldenen Jahre des Jugo-Films   (Derselbe Brief, demnach dasselbe Datum, sagte ein Archäologe)
Žarko Radakovic   Blick aus Zemun   Igor Marojevic

MOMENTAUFNAHME BEOGRAD, SPIELZEIT 1964/65
Drei Versuche über den menschlichen Verstand - Danilo Kiš, Borislav Pekic, Bora Cosic
Zusammengestellt, übersetzt und mit einer Vorbemerkung von Peter Urban
Peter Urban   Momentaufnahme Beograd, Spielzeit 1964/65   Eine Reminiszenz
Danilo Kiš   Straßenbahnfahren   Psalm 44, Kapitel 7
Borislav Pekic   Gustav Fröhlich, Spion aus Mannheim, oder Versuch über den menschlichen Verstand   Elfter Brief
Borislav Pekic   Adams Regenschirm   Brief an Peter Urban
Bora Cosic   Das kurze Leben des Volksdichters Junacko

Bora Cosic   Das verschwundene Belgrad   Konsul in Belgrad
László Végel   Triest, Magris und wir   Novi Sad, Újvidék, Neusatz
László Végel   Eine Frage der Ehre   Balkanische Paradoxa

 

Peter Handke
Rede, frei gehalten, am 7. Mai 2021 in Višegrad

Ich werde Deutsch reden. Das ist meine Sprache. Verzeihen sie. (auf Serbisch).
Diese furchtbaren Kriege auf dem Balkan Ende des Jahrhunderts, haben, so absurd es klingt, auch etwas Gutes gehabt: Ich habe zum ersten Mal Wort für Wort Ivo Andrić gelesen. Und während ich vorher in Jugoslawien immer am Meer gewesen war, bin ich jetzt dadurch ins Landesinnere gekommen, wo kein Meer ist, wo nur Flüsse sind. Wie die Drina. Und so bin ich nach Višegrad gekommen.
Ivo Andrić ist vielleicht der letzte Schriftsteller noch aus dem 19. Jahrhundert, wo die epische Energie von Balzac, von Flaubert, und vielleicht vor allem von Stendhal – vielleicht ist Andrić Stendhal am nächsten – noch einen letzten großen, zarten und zugleich schneidenden Schwung hatte.
Ich glaube, Ivo Andrić war wie Stendhal immer ein liebendes Kind. Und auch immer unglücklich. Vor allem in der Nacht. Wenn man seine Notizen aus der Nacht liest, die deutsch zum ersten Mal gut übersetzt sind, in einem deutschen Buch, dann denkt man: Warum hat der Andrić so viel gelitten, warum hat er das aufgeschrieben?
Das ist ein großer Widerspruch, zwischen seinem Tagewerk und seinem Nachtwerk.
Ich habe eine große Dankbarkeit, nicht nur für die Literatur von Ivo Andrić, sondern auch für die Miloš Crnjanskis, auch Meša Selimovics, die für Bosnien, für Sarajevo sehr bezeichnend ist.
Und ich bin auch sicher – ich werde sicher nicht gut ausdrücken können, was ich sagen möchte – ich bin sicher – ob das orthodoxe, muslimische, kroatische, serbische Schriftsteller sind – ich bin sicher, daß wir einander ..., wir als Schreiber, als die, die auf Frieden und auf Rhythmus, auf Musik und auf Farben und auf das Gemeinsame aus sind, daß es nicht zu spät ist, daß wir uns verständigen – wir, die wir unterwegs sind auf der großen, wunderbaren Expedition, die immer ins Ungewisse führt, die man Literatur nennt.
Das sage ich in Gedanken an die bosniakischen Schriftsteller, an die albanischen Schriftsteller im Kosovo …
Ich bin sicher, würde ich sie einzeln sehen, würde ich mich verstehen mit ihnen.
Ich würde sie gern einladen, mit mir zusammen, möglichst bald – weil ich bin nicht mehr jung – an einem Tisch zu sitzen; oder vielleicht nicht an einem Tisch, sondern vielleicht besser im Gras oder am Ufer eines Flusses zu sitzen. Und wir könnten zusammen … ja, zusammen sein.
Die Literatur hat vielleicht viel mit Zorn zu tun, auch mit Wut (was gut manchmal ist), aber nie mit Haß! Und das ist der große Unterschied.
Und dann möchte ich nur zum Schluß sagen, ich möchte den anderen Preisträger, den großen serbischen Schriftsteller Milovan Danojlić aus der Ferne begrüßen. Er schreibt mir wunderbare Briefe. Er hat eines der grundlegendsten Bücher der jugoslawischen Literatur, sage ich jetzt, geschrieben, Moj dragi Petroviću. Also, ich möchte ihn, der immer aufmerksam für andere war, der mir ein Vorbild war für die Aufmerksamkeit für andere, ich möchte ihn hier, aus der Ferne von Višegrad, in seinem französischen Exil in Poitiers begrüßen.
Ja, das ist alles.

Peter Handke
Rede, frei gehalten, bei der Verleihung des Karadjordje-Ordens am 9. Mai 2021 in Belgrad

Ich bin nicht gefaßt, daß ich einen großen Orden bekommen sollte, ich war nicht darauf gefaßt. Ich habe nur gewußt, daß ich den Präsidenten treffen sollte, und daß wir einen Kaffee miteinander trinken sollten. Das war alles.
Ich weiß jetzt wirklich nicht – ich bin nicht vorbereitet ... Aber das ist ganz gut. Im Leben war ich oft nicht vorbereitet ... Ich weiß nur, woran ich oft denke, wenn mir Serbien in den Sinn kommt, dann ist es in der Regel der weiße Engel von Mileševa, ,,Beli Anđeo“. Und da ist es er, der Engel, der zeigt auf das leere Grab und sagt, wie es im Evangelium steht, ,,warum sucht ihr den Lebenden unter den Toten?“ Und er will damit sagen, daß Christus auferstanden ist.
Ich habe eine Kopie, eine sehr schöne Kopie, im Haus, dieses weißen Engels. Und er empfängt mich nicht jeden Tag; manchmal bin ich nicht bereit, ihn wirklich zu würdigen; aber er empfängt mich zumindest einmal in der Woche.
Und so – als Dank für etwas, was ich nicht verdient habe, diesen Orden – möchte ich Serbien und den weißen Engel hier gegrüßt haben. Danke schön.